Fountain Hills Exchange 2019 - Erfahrensbericht 1

Die häufigste Frage, die mir in den USA und sowie in Deutschland gestellt wurde, ist: „Wie sind die USA im Vergleich zu Deutschland?“ Meine erste spontane Antwort war jedes Mal: „Anders.“ Nun gibt es mit Sicherheit informativere Antworten als diese und die meisten Zuhörer hätten sich eine solche Antwort gewünscht, aber meiner Meinung nach beschreibt es „Anders“ relativ gut. Die Gemeinsamkeiten aufzuzählen wäre nicht halb so viel Aufwand wie die Unterschiede zu nennen. Trotzdem sei an dieser Stelle gesagt, dass folgender Bericht ausführlich und detailliert sein wird und ich es nicht etwa bei dieser Aussage belassen werde. Die Gliederung ergibt sich durch die größten Themen: das Klima, die Natur und die Landschaft, gefolgt von der Infrastruktur, der Kultur und dem Schulsystem.

Der erste Eindruck, der bei mir schon im Flugzeug entstand, als mein Blick durch das Fenster des Flugzeugs auf Phoenix und Umgebung viel, war atemberaubend. Für den typischen Westerwälder, der Wälder, Wiesen und Felder gewohnt ist, ist der Anblick von einer Wüste völlig fremd. Nicht mal die abgeernteten Felder im späten Sommer kommen ansatzweise an die gewaltigen braun-beigen Flächen heran, auf denen man Häusersiedlungen erkennt, die eine ähnliche Farbgebung haben. Der generelle Stil lässt sich gut als „quadratisch, praktisch, gut“ bezeichnen und bezieht sich auf die Straßen und die anliegenden Häuser. Der individuelle Stil der Deutschen lässt sich eindeutig nicht erkennen. Alles sieht irgendwie gleich aus. Wenn man bedenkt, in welcher Zeitspanne und mit welcher Effizienz Arizona besiedelt wurde, ist das auch kein Wunder. Für meine Orientierung war das am Anfang nicht ganz leicht. Normalerweise richte ich mich in großen Städten nach auffälligen Gebäuden, bestimmten Läden oder Sehenswürdigkeiten. Wenn es davon aber kaum welche gibt, gestaltet sich dieses System als schwierig.

„Größer“ war meine zweite passende Beschreibung und es handelt sich keineswegs um eine Pauschalisierung, wenn ich behaupte, dass das für alles in den USA gilt. Hauptsächlich stellt man das bei den Straßen und den Kraftfahrzeugen fest. Obwohl es einen sehr logischen Zusammenhang zwischen beiden Punkten gibt. Wenn man große Autos fährt, müssen die Straßen auch breit genug sein und am besten auch mehrspurig. Ob in deutschen Großstädten oder auf dem Land, niemand hat Platz, weder auf der Straße noch auf den Parkplätzen. Auf der amerikanischen Seite ist es dagegen überhaupt kein Problem, wenn drei FordPick-Ups mit jeweils drei Metern Breite in eine Richtung nebeneinander fahren wollen. Das Auto als Statussymbol und als Machtdemonstration ist dabei die absolute Priorität. Der Kuhfänger an Dampflokomotiven dient hierbei als Vorbild für die Front des rollenden Monstrums von einem Auto und die Klingen der Streitwägen in der Antike findet man manchmal an gleicher Stelle als Stacheln auf den Radmuttern wieder. Der Begriff „Kleinwagen“ scheint ein Fremdwort zu sein und man sieht ihn auch nur selten bei Fahranfängern. Glücklicherweise hat der Mensch keinen Einfluss auf den Klimawandel, so dass der hohe Kraftstoffverbrauch durch die permanente Benutzung der Autos und die niedrigen Spritpreise keine Rolle spielt. Wenn man davon überzeugt ist, kann man das Leben in vollen Zügen genießen.

„Warm“ oder vielmehr heiß stelle ich in dem Moment fest, in dem ich das klimatisierte Flugzeug verlasse und mit einer langen Hose zwanzig Meter gehe, bis ich das klimatisierte Flughafengebäude erreiche. Da jedes Gebäude aber über eine Klimaanlage verfügt, lassen sich die Temperaturen ganz gut ertragen. Generell fühlt man sich bei diesem Wüstenklima, welches trocken-heiß ist, besser, als es während der Hitzeperiode in Deutschland der Fall ist. Der Sonnenaufgang ist sehr früh und der Sonnenuntergang schon um 18 Uhr. Durch das starke Erhitzen des Bodens über Tag sind auch die Temperaturen bei Nacht angenehm. Eine kurze Hose und ein T-Shirt kann man rund um die Uhr tragen, ohne dass es zu kalt wird. Bei den späten Poolpartys ist das ein ungemeiner Vorteil, auch wenn es den Amerikanern schon bei einer Wassertemperatur von 25°C zu kalt ist. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob sie die Kälte in Deutschland nächstes Jahrertragen können.

Neben den School-Days haben wir auch einige Reisen vor Ort unternommen. Am 5. Tag machten wir uns früh morgens auf zu unserer Sedona-Grand Canyon Tour. „Beeindruckend“ denke ich mir unablässig, während ich über die riesige Schlucht des Grand Canyon gucke. Zwei Meter vor mir ist die Klippe schon zu Ende und die Tiefe des Abgrunds lässt sich nur erahnen. Der Grand Canyon ist mit Sicherheit ein absoluter Höhepunkt auf dieser Reise. Die unberührte Natur, die Weitläufigkeit und die Dimension dieses Wunders kann man mit Worten kaum beschreiben und sollte jeder in seinem Leben wenigstens einmal zu sehen bekommen. Wie viele Stunden man in dieser ruhigen Umgebung verbringen könnte, wenn man die Touristen ausblendet. Die Landschaft ähnelt von ihrer Struktur einem gigantischen Tagebau, weil man die unterschiedlichen Gesteins- und Sedimentschichten hervorragend erkennen kann. Der Colorado River schlängelt sich am Grund der Schlucht und gräbt sich immer tiefer in das Gestein. Irgendwann werde ich zurückkommen und mit ein bisschen Glück eine Wanderung in den Grand Canyon wagen. Doch die Schlucht und die Wüste sind nicht alles, was Arizona zu bieten hat. Flagstaff und Umgebung erwecken in mir den Anschein, dass ich mich gerade in Kanada befinde. Die Tannenwälder, die grünen Wiesen und der Baustil unterscheiden sich grundlegend von allem anderen. Selbst das Wetter und ich würde sogar behaupten das Klima dort fühlt sich heimisch an. So etwas wie vier Jahreszeiten sind in Fountain Hills nicht üblich, dort kennt man nur warm oder heiß.

„Sorry, but I think my stomach is going to explode.“Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich diesen Satz gesagt habe. Die Fürsorglichkeit der Amerikaner ist sehr charmant und gut gemeint, aber ab einer gewissen Füllmenge des Magens, schafft es nicht mal der Dessertmagen dieMenge an Nahrung aufzunehmen. Dabei stand das Dessert noch gar nicht auf dem Tisch. Wie ein Mensch in der Lage sein kann so viel und so oft an einem Tag zu essen, weiß ich nicht. Obwohl ich an dieser Stelle anmerken muss, dass das Aufessen der Portion nicht dazu gehört. Wahrscheinlich ist das einfach nicht notwendig, da es am nächsten Tag sowieso schönes Wetter geben wird. Die Fast-Food-Ketten sind vielseitiger als in Deutschland und bieten sogar eine recht gute Qualität an. Ob das Essen dadurch jedoch gesund wird, bezweifle ich. Im ersten Laden stelle ich fest, dass es das Getränke-Wiederauffüllen-System in den Vereinigten Staaten immer noch gibt. Das erweist sich als eine super Sache, mit der man in der Lage ist, sich allein durch die Getränke der maximalen Menge an Kilokalorien pro Tagzu nähern. Ganz zu schweigen von der Menge an Zucker und Koffein, die man nach 1,5 Litern Dr. Pepper (keine Produktplatzierung) zu sich genommen hat. Sollte man sich dann noch entschließen die Mahlzeit mit einem Dutzend Donuts für sechs Personen abzurunden, wird es so langsam kritisch aber ungemein witzig. Doch eine gesunde und ausgewogene Ernährung hat nun wirklich noch niemandem geschadet.

„The US has no history.“Das klingt vielleicht nicht so freundlich, aber die Zeit von 1492 bis jetzt in ein extra Fach zu packen ist doch ein wenig zu viel des Guten. Selbst mein Austauschpartner hat mir in dieser Hinsicht zugestimmt. Wie dem auch sei, das Schulsystem der Fountain Hills Highschool (FHHS) unterscheidet sich stark zu dem des Martin-Butzer-Gymnasiums Dierdorf. Der Begriff Lifestyle lässt sich hier anbringen. Sämtliche Aktivitäten egal ob Sport, Musik oder Veranstaltungen sind ein Teil der Schule. Wobei der Unterricht und die Überprüfungen nicht sonderlich anspruchsvoll zu sein scheinen. Die Themen und die Auswahl der Fächer weisen nicht direkt auf eine allgemeine Bildung hin, diese erfolgt wohl erst am Anfang des Colleges. Die Freiheiten der Schüler im Unterricht und das Verhalten zwischen Lehrer und Schüler findet man am MBG nicht. Es mangelt nicht an Respekt vor den Autoritäten, aber die Mentalität ist doch eine offenere. Auffällig ist die Tatsache, dass die meisten Schülerinnen und Schüler die Sportarten wie Volleyball gleich gut ausüben und sich das nicht wie in Deutschland auf einzelne Ausnahmen beschränkt. Die Marching Band sollte man als Musiker nicht unterschätzen. Die Schwierigkeit der Stücke ist nicht besonders hoch, da es wenn überhaupt kurze Mittelstufen Stücke sind. Aber das vollständige Auswendiglernen und das Marschieren währenddessen ist beeindruckend. Jedes Land hat seinen eigenen Fokus und Schwerpunkt in den jeweiligen Orchestern und ein Austausch in dieser Hinsicht wäre sicher angebracht.

Mein Versuch mich kurz zufassen ist offensichtlich nicht ganz gelungen, womöglich gibt es einfach zu viel, was man erwähnen kann. Abschließend kann ich nur sagen, dass es sich bei diesem Austausch um eine der besten Erfahrungen handelt, die ich bisher in meinem Leben gemacht habe und ich kann sie nur weiterempfehlen. Man muss nicht alles befürworten, was man dort an politischen Einstellungen oder Ähnliches vermittelt bekommt, aber darum geht es auch nicht. Es handelt sich überwiegend um freundliche, aufmerksame und zuvorkommende Menschen, mit denen man in Kontakt bleiben sollte, sofern das denn möglich ist. Es gibt Probleme und Sorgen auf deutscher und amerikanischer Seite und es ist deshalb umso wichtiger, dass man in Kommunikation miteinander tritt und sich nicht weiter distanziert. Manchmal muss man über die Politiker oder die Machthaber hinwegsehen und den direkten Austausch mit den Menschen suchen. Der Wechsel dieser Perspektive ermöglich ein Verständnis für politische Überzeugungen oder Entscheidungen. Vielleicht ist dieser friedliche und unvoreingenommene Austausch eine Möglichkeit der Zusammenarbeit, ohne dass über die Köpfe hinweg Strafzölle und Sanktionen erhoben werden, die die Beziehung zweier befreundeter Staaten schädigen. Dieser Austausch sollte zukünftig ein fester Bestandteil des MBGs bleiben und weiterhin sollte es neue Partnerschulen geben, so dass die Vernetzung verstärkt wird.

„The wise build bridges while the foolish build walls.“ (Afrikanisches Sprichwort)

von Simon Dickopf